Bericht vom letzten Verhandlungstag gegen die Kampagne "Latife bleibt"
Preußenstaat auf dem Rathausmarkt
Am 13. Juli ging nach drei Verhandlungstagen der Prozeß wegen angeblichen Widerstands gegen zwei Aktivisten der Kampagne „Latife bleibt“ mit den Plädoyers und dem Urteil zu Ende. Die Staatsanwaltschaft plädierte, die widersprüchlichen und undeutlichen Aussagen der Polizeibeamten ignorierend, erwartungsgemäß auf Verurteilung. Statt der ursprünglichen 50 bzw. 30 Tagessätzen forderte sie 40 bzw. 30 Tagesätze. Die Verteidigung antwortete auf die Ausführungen der Staatsanwaltschaft, scheinbar einem anderen Prozeß beigewohnt zu haben, denn die Zeugenaussagen konnten den konkreten Vorwurf nicht nachweisen. Bedeutsamer war aber die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes. Denn wenn der Polizeieinsatz nicht rechtmäßig war, was in den Ausführungen der Verteidigung deutlich gemacht wurde, dann war die Verweigerung der Herausgabe des beschrifteten Bettuchs legitim. Die Weigerung der Verantwortlichen im Rathaus, die gesammelten Unterschriften "Latife bleibt" von den Schülern und SchülerInnen entgegen zu nehmen, führte zu spontanem verbalen Protest, der dann mittels Polizeieinsatz erstickt wurde. Weder die Entstehung des Protestes noch das Anliegen zu betrachten, sondern sich formal auf das sogenannte Bannmeilengesetz zu beziehen, zeugt von preußischem Obrigkeitsdenken. Die Auslegung des Bannmeilengesetzes als absolutes Verbot der Meinungsäußerung läßt den Preußenstaat auf dem Hamburger Rathausmarkt aufmarschieren. Im Zusammenhang "Preußischer Obrigkeitsstaat versus bürgerlich demokratische Staatsverfassung" zitierte die Verteidigung aus dem Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts von 1985, dem sog. "Brokdorfbeschluß". Hier entschieden die Verfassungsrichter, daß ein pauschales Demonstrationsverbot das Grundrecht verletze und begründeten weiter: "Das Recht, sich ungehindert mit anderen versammeln zu können, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit (und) der Unabhängigkeit des selbstbewußten Bürgers." Demonstrationen sind ein Moment der produktiven Unruhe, der öffentlichen Kritik und Kontrolle. Sie enhalten "ein Stück ursprünglicher-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren."