Wir gedenken Amed Ahmad
gestorben am 29. September 2018 unter bisher ungeklärten Umständen
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Amed* Ahmad floh vor dem Krieg in Syrien und lebte in Geldern. Am 6. Juli 2018 wurde er grundlos verhaftet. 73 Tage wurde er seiner Freiheit beraubt, bis er am 17. September 2018 in der JVA Kleve unter bisher ungeklärten Umständen in seiner Zelle verbrannte. 12 Tage verbrachte er im Krankenhaus. Seine in Bonn lebenden Eltern wurden in dieser Zeit nicht benachrichtigt. Sie erfuhren erst durch die Medien vom Tod ihres Sohnes. Wir können den Tod von Amed Ahmad und anderer Opfer rassistischer Polizeibrutalität nicht vergessen. Wir können nicht mehr stillschweigend die Lügen ertragen. Wir wollen keine Zukunft, in der unsere Kinder gejagt, geschlagen, beleidigt oder ermordet werden. Rassismus ist nicht nur ein Problem der Polizei, sondern einer Gesellschaft, die rassistische Verbrechen und Fehlverhalten duldet und verharmlost.
*In der Presse und Öffentlichkeit wurde
fälschlicherweise in der Vergangenheit
die Schreibweise „Amad Ahmad“ oder „Ahmed Amad“ benutzt.
BREAK THE SILENCE
Am 6. Juli 2018 wird Amed Ahmad von der Polizei in Geldern festgenommen. Am selben Abend wird er in die Justizvollzugsanstalt nach Geldern-Pont verlegt. Am 10. Juli 2018 wird er dann in das Gefängnis in Kleve verlegt. Am 17. September 2018 brennt seine Zelle. Per Krankenwagen wird Amed Ahmad in das Sankt-Antonius Krankenhaus in Kleve transportiert. Dort wird er nicht stationiert, sondern mit einem Hubschrauber in das Klinikum Duisburg gebracht. Eine Woche später am 24. September 2020 wird er in das künstliche Koma versetzt und in das Klinikum Bergmannsheil nach Bochum gebracht. Am 29. September stirbt er nach einer Lungentransplantation. Das sind die bekannten und nicht diskutierbaren Fakten.
Als nach dem Tod Amed Ahmads die Öffentlichkeit von seiner Unschuld und der rechtswidrigen Freiheitsberaubung erfuhr, versprach der Innenminister Nordrhein-Westfalens, Herr Reul, Aufklärung und entschuldigte sich bei den Familienangehörigen von Amed Ahmad. Es folgten Erklärungsversuche und eine Fehlerkette wurde konstruiert. Der Fall wurde aber immer konfuser.
Angeblich wäre er festgenommen worden, weil sich am 6. Juli 2018 vier jungen Frauen am helllichten Tage am Baggersee von ihm bedroht fühlten. Polizisten werden nicht durch einen Notruf, sondern durch den Anruf einer der jungen Frauen, der Tochter eines Polizisten, verständigt und kommen zum Baggersee. In dem kleinen Ort Geldern kennen die Polizisten die Jugendlichen, wahrscheinlich auch Amed Ahmad. Im Nachhinein sagen die Polizisten im Untersuchungsausschuss Ähnlichkeiten zu einem gesuchten Täter festgestellt zu haben. Deswegen verlegen sie Amed Ahmad vom Polizeigewahrsam in Geldern in die JVA nach Geldern-Pont. Obwohl am 10. Juli feststand, dass er nicht der gesuchte Täter ist, muss er weiterhin sitzen.
Später wird behauptet, er wäre mit einer anderen gesuchten Person anderer Hautfarbe, aus einem anderen Land verwechselt worden. Doch spätestens seit dem 27. Juli 2018 wissen die Polizisten in Kleve, dass dies nicht der Fall sein kann. Eine mit dem Fall betraute und ermittelnde Staatsanwältin aus Braunschweig informiert die Polizei in Kleve, dass die Person Amed Ahmad nicht mit der gesuchten Person A.G. identisch sei.
Die Fakten
Warum muss also Amed Ahmad weiterhin im Gefängnis sitzen? Versucht man den Argumentationen der Behörden, der ermittelnden Beamten, dem Untersuchungsausschuss, und den Journalisten zu folgen, ergibt alles kein Sinn. Vor allem nicht, weil die Daten von Amed Ahmad bereits zwei Tage vor seiner Festnahme manipuliert sind. Bereits am 4. Juli 2018, also zwei Tage vor seiner Verhaftung, werden die Daten von Amed Ahmad mit denen der gesuchten Person A. G. verknüpft und zu einem Datensatz verschmolzen. Beide Personen werden in den Datenbanken der Polizei zu einer Person jedoch mit zwei Hautfarben und mit zwei Gesichtern. Bis heute ist nicht klar, von wem die Beamtin in Siegen den Auftrag erhielt, die Daten miteinander zu verknüpfen. Ihr Vorgesetzter war bereits in der Rente und nicht mehr im Dienst. Weiterhin werden am Tag vor seiner Verhaftung in Geldern mehrmals die Daten von Amed Ahmad im Polizeicomputer aufgerufen, bevor angeblich eine der jungen Frauen ihren Vater, den Polizeibeamten nach Hilfe rief. Warum? Warum werden die Daten des jungen Mannes in den Tagen vor seiner Verhaftung erst manipuliert und dann mehrmals aufgerufen, bevor ein angeblicher Hilferuf inoffiziell erfolgt. Diese angeblichen Fehlerketten können nur als Fehlerketten eingestuft werden, wenn keine anderen Möglichkeiten zugelassen werden. Im Falle Oury Jalloh mussten wir mehrere Jahre dafür kämpfen, dass die Fakten anerkannt und eine andere, wahrscheinlich mögliche Wahrheit, auch diskutiert werden konnte. Doch bis heute verweigern sich die offiziellen Stellen nicht nur dieser Wahrheit, sondern verdrängen aktiv die wahrscheinlichste unter allen Varianten, nämlich die Verbrennung von Oury Jalloh mit Hilfe von Brandbeschleunigern durch Dritte in Polizeigewahrsam. Beweise wurden vernichtet und manipuliert. Diejenigen, die die Beweise vernichtet, Verfahren manipuliert und die interessierte Öffentlichkeit hintergangen haben, sind befördert und diejenigen, die aufklären wollten, sind diskreditiert worden. Ist also eine andere Version der Ereignisse im Falle Amed Ahmads möglich?
Die offenen Fragen
Ist es möglich, dass einige der Beamten in Geldern sich den 26-jährigen Flüchtling ausgesucht haben, eine persönliche Rechnung begleichen oder ihn bestrafen wollten? Ist es möglich, dass sie durch ihre Netzwerke die Daten haben fälschen lassen? Ist es möglich, dass sie am selben Tag geprüft haben, ob die Daten auch verändert worden sind, bevor sie Amed Ahmad verhaftet haben? Ist es möglich, dass sie ein Exempel statuieren wollten und ihn auf jeden Fall im Gefängnis behalten wollten? Ist es gar möglich, dass in seiner Zelle ein Brand gelegt worden ist?
Ist eine andere Version wie im unter anderem im Mordfall von OURY Jalloh möglich?
Können diese Fragen durch Beamte, Politiker, Journalisten gestellt werden, die bisher keine sichtbaren und versteckten psychischen und physischen Narben durch ihre bisherigen Begegnungen mit rassistischen Polizeibeamten gehabt haben? Nein sagen wir, denn diese Fragen sind nicht vorstellbar, genauso wenig, wie sie in den Fällen von Oury Jalloh, Achidi John, Laye Alama Konde, Maryama Sarr, Christy Omordion Schwundeck, Halim Dener, Dominique Kouamadio, Dr. Zdravko Nikolov Dimitrov, Hussam Fadl, … und zuletzt in Essen im Falle von Mikael Haile und Adel vorstellbar waren. Fragen sie aber diejenigen, die von den Beamten in Essen allein in diesem Jahr geschlagen, beleidigt, brutal zusammengeschlagen waren, dann sind auch diese Möglichkeiten nicht mehr auszuschließen.
Die konsistenten Ungereimtheiten
Nicht erst seit der NSU oder NSU2.0 ist uns die Zusammenarbeit von bekannten rechten Terroristen mit Polizeibeamten bekannt. Nicht erst seit der NSU2.0 wissen wir, dass Daten angezapft und manipuliert werden. Warum werden also bereits zwei Tagen vor der Festnahme von Amed Ahmad die Daten manipuliert und am Tag seiner Verhaftung aber vor der Festnahme die Daten mehrmals aufgerufen? Warum wird dann erzählt, er sei wegen sexueller Belästigung festgenommen worden? Dann wird er seiner Freiheit beraubt, weil er zuerst mit der einen und dann mit einer anderen Person verwechselt worden ist? Hier wie in anderen Fällen scheinen die Beamten dem gleichen Muster wie im Falle Oury Jalloh und vielen anderen zu folgen: Sie verfolgen in ihren Untersuchungen die Kette der Ereignisse mit den geringsten Wahrscheinlichkeiten und tischen es uns als Fehlerketten auf. Wieweit müssen wir bohren, damit wie im Falle Oury Jalloh alles über die Wahrheit erfahren, welche in keiner Akte und Gerichtsnotiz Erwähnung findet?
In welchem rassistischen Sumpf solche Taten geschehen können, brauchen wir leider nicht zu erfinden, sondern können es tagtäglich auf der Straße, in den Nachrichten und in unserer Nachbarschaft beobachten. Der Tod von Amed Ahmad und der von Mikael Haile im gleichen Jahr in Essen oder andere Opfer von rassistischer Polizeibrutalität können nur im Kontext der rassistischen Diskurse in der Gesellschaft verstanden und begriffen werden. Solche Taten können weiterhin geschehen, weil die Täter in früheren Fällen straffrei davonkommen und in der Vertuschung der Taten Unterstützungen bis zur höchsten Führung ihres Landes, sei es in Sachsen-Anhalt oder Nordrheinwestfalen erhalten.
Die Kriminalisierung unseres Daseins
Nicht erst am 6. Juli 2018 hat sich die sogenannte „Willkommenskultur“ von 2015 in eine Abweisungs- und Hetzkultur verwandelt. Menschen folgen Hasspredigern und rufen: „Schiebt sie ab!“, „Erschießt sie an den Grenzen!“ oder „Entsorgt sie in Anatolien!“. Der Ton ist rauer geworden. Der Rassismus tritt enthemmt zutage und Rassisten sind täglich in den Talksendungen und jagen die bürgerlichen Parteien. Doch diese bürgerlichen Parteien selbst haben zuvor unterschiedliche Gemeinschaften einen nach dem anderen kriminalisiert, um die anderen Rassisten rechts zu überholen: Polizeioperationen im sogenannten „Maghrebviertel“ in Düsseldorf, Hetze gegen „Armutsmigranten“ aus Osteuropa, Verdächtigung junger Männer aus Afghanistan, … Kriminalisierung von Flüchtlingen, die sich friedlich in Ellwangen zur Wehr setzen, die Verwendung des Wortes „Asyltourismus“ für Menschen in Not … die Kriminalisierung war und ist an der Tagesordnung. Es wird ein Klima erzeugt, in welchem rassistische Verbrechen stattfinden können. Krokodilstränen fließen nach dem mehrfachen Mord in Hanau und alle zeigen mit den Zeigefingern auf die AfD, doch dieselben Politiker haben jahrelang hier in NRW die Shisha Bars kriminalisiert und den Begriff der „Klankriminalität“ konstruiert. Wer sind also die Brandstifter von Hanau?
Unsere Alltagserfahrungen und der Entschlossenheit unsere Kämpfe
Wir fragen, hätten wir weniger Fehlerketten erlebt, wenn der Dessauer Fall von Oury Jalloh, Mario Bichtermann und Jürgen Rose vollständig und lückenlos aufgeklärt worden wäre? Würde Amed Ahmad nun unter uns weilen und vielleicht von der abendlichen Brise in seiner Heimat erzählen? Würden Mikael Haile und Adel aus Essen unter uns weilen? Die Fehlerketten, Lücken und Lügen wurden nicht durch das deutsche Rechtsystem und die Institutionen, sondern durch unsere Widerstandskämpfe in die Öffentlichkeit gebracht. Wir haben die Fragen gestellt, die Gesellschaft herausgefordert und das System angeprangert. Diese Fragen gehen durch unsere Herzen und Köpfe und solange nicht plausibel die Widersprüche aufgeklärt werden, bleibt uns nichts anderes übrig, als zu sagen:
Amed Ahmad, das war Mord!
Zusammen sind wir stärker als die Hassprediger und Spalter es sich vorstellen können.
In Solidarität bleiben wir verbunden mit allen, die sich tagtäglich für eine bessere Welt ohne Ausbeutung, Kriege, Rassismus, also eine menschliche und solidarische Welt einsetzen. Deswegen werden wir in unserer Region versuchen, gemeinsam mit allen interessierten Freundinnen und Freunden uns für die Aufklärung nicht nur des Todes von Amed Ahmad einzusetzen, sondern auch für die Aufklärung der Tode von Mikael Haile und Adel aus Essen.
KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen
Büro Wuppertal
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