Öffentliche Stellungnahme zum aktuellen Bericht im Magazin der Spiegel „Experten kritisieren Abschiebepraxis als zu lasch“ und den menschenverachtenden und Rechtsverletzenden Methoden von Mitarbeitern der niedersächsischen Landesbehörden. pdf download
Während mutige Flüchtlinge in Niedersachsen sich zusammen mit ihren Rechtsanwälten gegen geheime und brutale Verhörmethoden durch Beamte des Landes Niedersachsen zur Wehr setzten und an die Öffentlichkeit gehen https://thecaravan.org/node/2918, tritt die Arbeitsgruppe „Rückführung“ über das Nachrichtenmagazin „der Spiegel“ mit einer Kriegserklärung an Flüchtlingsgemeinschaften und Menschenrechtsorganisationen auf.
"Es ist aber nicht nur die Landes- und Bundespolitik, deren Unterstützung vielfach vermisst wird", heißt es in dem 16-Seiten-Papier, das Landesbeamte und Bundespolizisten im Auftrag der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Rückführung" verfasst haben und das dem Bundesinnenministerium vorliegt. Auch Bürgermeister und Landräte brächen Abschiebungen "bei entsprechendem Druck" von Lobbygruppen und Medien immer wieder "in letzter Minute ab". spiegel bericht 21.05.2011
Diese vom Spiegel irreführender Weise als „Experten“ bezeichneter Spezialtrupp wurde bereits 1993 von den Innenministern der Länder und des Bundes installiert, um die Abschiebezahlen maximal zu steigern. 2008 übernahm das Land Niedersachsen die Leitung:
"Den Vorsitz in der Bund-Länder Arbeitsgruppe Rückführung wollen wir nutzen, um bestehende Rückführungshindernisse zu beseitigen und die Rückführung von ausreisepflichtigen Ausländern zu beschleunigen", so der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann in Hannover.“
Dazu greifen die Landes- und Ausländerbehörden zu allen möglichen Methoden – legal, illegal, scheißegal.
Im Fall der Ausländerbehörden nennen wir hier die Ausländerbehörde Gifhorn beispielhaft im Todesfall des nepalesischen Flüchtlings Shambu Lama. Voice newsletter
Trotz seiner Aufenthaltsaussicht aufgrund seiner Vaterschaft und seines Umgangsrechtes täuschte ihn die Behörde über seine Rechte. Trotz gerichtlicher Intervention betrieb die Behörde die Abschiebung weiter bzw. nannte Herrn Lama den Abschiebetermin und teilte ihm mit, dass sein Kind ihm nichts nützen werde. Herr Lama legte sich am 01. März diesen Jahres vor einen anrollenden Güterzug.
Im Fall der Landesbehörden nennen wir die Protokolle der Familie I. aus Dagestan/Nordkaukasus und ihrer Begleitung über die polizeiliche Vorführung am 06.04.2011 in der Lüneburger Außenstelle
http://thevoiceforum.org/node/2124 sowie die Stellungnahme und Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg des Rechtsanwalts Fred Hullerum https://thecaravan.org/node/2920 bezüglich den Zwangsvorführungen durch Landesbeamte vor russische Behördenvertreter am 16.05. in Hannover-Langenhagen.
Vor dem Hintergrund der eskalierenden Gewalt im Nordkaukasus zwischen verschiedenen Machtgruppen sowie dem russischen Staat und der Verweigerung ihrer Asylgesuche in Deutschland, befinden sich Flüchtlinge aus der Region im Visier der Abschiebebehörden. Was passiert, wenn diese Menschen ihre Abschiebung nicht selbst forcieren, wird endlich durch den Mut der Familie I. öffentlich.
„Du bist kein Mensch, du bist ein Schwein – Ich werde dich ins Gefängnis stecken, du Idiot - Ich mach Euch alle platt“ sind einige der Worte der schwarz uniformierten und teils bewaffneten Beamten gegenüber Herrn I.. Seine Frau wurde in einem separaten Zimmer von Beamten ebenfalls bedroht. Herr I. hielt bei der Zwangsvorführung demonstrativ eine Zeitung des KARAWANE-Netzwerks „Break the isolation“ über die Flüchtlings-Proteste im Landkreis Gifhorn in den Händen. Seine Tochter ist darin mit Telefonnummer als Kontakt angegeben.
Noch während die Sonderbehandlung des Ehepaars I. vonstatten ging, erhielt sie von einem Beamten einen Anruf. „Was sind das für Lügen, die du hier in der Zeitung schreibst. Deine Familie wird noch leiden, das schwöre ich dir.“
Wir sehen die Familie in großer Gefahr, ihr Rechtsanwalt Fahlbusch hat Anzeige erstattet gegen die Beamten, die die sogenannte Anhörung durchgeführt haben.
hierzu merkt Rechtsanwalt Hullerum an
„Allein dieser Begriff nährt schon den Verdacht von Rechtsverletzungen, weil er eine Forderung formuliert, die über das bloße persönliche Erscheinen hinausgeht und weil die Tätigkeit von Abschiebebehörden, die ihren Frust über ihre Hilflosigkeit hinausschreien, die am meisten gewaltschwangeren und foltergefährdetsten Tätigkeiten in Deutschland überhaupt sind. Es gibt keinen Vorgang, der in den Behörden eine solche Wut auslöst wie der „Asylmissbrauch“ und die Hilflosigkeit beim Vollzug von Abschiebemitteln.“ -
Wenn ein Flüchtling der Vorladung zum „persönlichen Erscheinen“ nachkommt, aber nicht an einem Verhör bzw. Anhörung (nur von der Behörde so genannt, lt. Gesetz sind es keine) teilnimmt bzw. kooperiert im Sinne der Abschiebung, werden die Beamten „wild“. Dazu ein Exkurs von Rechtsanwalt Hullerum aus seiner Beschwerdeschrift:
„Exkurs: Dieses staatsbejahende Gefühl, das Gefühl, der Staat sei heute „total lieb“, wird leider überschattet von einigen schwarzen Flecken. Ein Kollege sagte ende der neunziger Jahre treffend:
Früher wurde der Staat in politischen Dingen – wie der Gründung eines Mietervereins, der Gründung einer kommunistischen Partei oder der bloßen Mitgliedschaft darin oder in Angelegenheiten der Presse – „zum Tier“; heute sind alle diese Bereiche – sogar bis in die Rituale des Widerstands gegen Atomanlagen und Castor-Transporte – verfriedlicht; „zum Tier“ wird der Staat heute noch in zwei Bereichen: im Ausländerrecht und bei der Fütterung der überschüssigen Bevölkerungsteile.“
Rechtsanwalt Hullerum verlangt eine glaubhafte und verfolgbare Garantieerklärung zum Schutz seines Mandanten der ebenfalls zu dieser Prozedur bestellt war. Die Erklärung des Leiters der AB Lüneburg, der für alle seine Mitarbeiter eine „Ehrenerklärung“ abgibt, beantwortet Hullerum:
„… dann glaube ich ihm das,...Darum geht es jedoch nicht. Kein einziger „Mitarbeiter der Ausländerbehörde in Lüneburg“ wird am kommenden Montag in Langenhagen sein. In Langenhagen werde andere Leute sein, bewaffnete Mitarbeiter der dortigen Landesaufnahmebehörde, also ein völlig anderes Personal. Diese Personal ist höchst gefährlich, wie wir aus den vorliegenden Gedächtnisprotokollen wissen. Diese Protokolle sind im vorliegenden Verfahren nicht in Zweifel gezogen worden und decken sich auch mit meinen Erfahrungen.... Ohne Sicherheit vor diesen schwarz gekleideten und bewaffneten Beamten, die schon die benannten Rechtsverletzungen begangen haben, sehe ich keinen Grund, mich und meinen Mandanten in die Gefahr von weiteren Rechtsverletzungen zu begeben...“
Die Öffentlichkeit ahnt wenig von den Praktiken, Rechtsbrüchen und Geheimstrukturen der Arbeitsgruppe „Rückführung“ - dazu zählen auch die weitgehend rechtsfreie Zusammenarbeit mit ausländischen Delegationen zum Zwecke der Erlangung von Paßersatzdokumenten zum einzigen Zweck der Abschiebung.
Es ist genau dieser Arbeitskreis der sich - transportiert über die Meinungsmacher des „Spiegel“, darüber ereifert, dass Politiker und Behörden zu lasch bei der Abschiebung sind. Es entspricht dem bekannten deutschen traditionsreichen Technokratentum und einem ausgeprägten rassistischen Weltbild, dass sich diese „Expertentruppe“ nicht vorstellen kann, das manche Bürgermeister und Landräte tatsächlich von den menschlichen Schicksalen berührt sind, wenn sie mit der Realität der Lager konfrontiert werden und ihre Verantwortung angesprochen wird. Darüber hinaus greift die „Expertentruppe“ die legitime und notwendige Öffentlichkeitsarbeit der Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen sowie progressiver Pressearbeit an.
Die Veröffentlichung im Spiegel zeigt die Nervosität aber auch die Aggressivität der Arbeitsgruppe „Rückführung“, deren Beamte mangels permanenten Erfolgs und zunehmend organisiertem Widerstand von Flüchtlingen gegen das Abschiebesystem und die Asyllüge zu Methoden psychologischer Folter greifen - um eine seit zehn Jahren in Deutschland lebende Familie in die Bürgerkriegsregion Dagestan oder irgendwohin in russische Föderation abzuschieben. Zu Dagestan schrieb der Spiegel am 26.07.2010: „Nirgendwo in Russland ist die Lage so bedrohlich wie in der Vielvölkerrepublik Dagestan, in deren Nähe 2014 die Olympischen Winterspiele stattfinden. Islamistische Rebellen und Kriminelle verüben täglich Anschläge, der Staat versinkt in Korruption und Polizeigewalt.“
Genau vor dieser Situation ist die Familie nach direkten Bedrohungen geflohen. Ihr Asylgesuch wurde in Deutschland abgelehnt, das ist die Asyllüge der deutschen Politik.
Üblicherweise machen sich die Meinungsmacher in den Medien mehr Sorgen um die TeilnehmerInnen und BesucherInnen der Olympischen Winterspiele 2014 als um das Schutzgebot für Flüchtlinge aus dem Nordkaukasus.
Wir sehen die aktuelle Veröffentlichung im Spiegel als eine unmittelbare Reaktion der Arbeitsgruppe „Rückführung“ unter dem Vorsitz des niedersächsischen Innenministeriums auf die zunehmende öffentliche Wahrnehmung der menschenverachtenden Haltung und Praxis gegenüber Flüchtlingen. Die Arbeitsgruppe kann ihren Auftrag nicht durchführen, wenn die Menschen zusammen kommen und das geteilte, rassistische Menschenbild als Grundlage der gesellschaftlichen Verfasstheit aktiv ablehnen. Frustriert beschwert sich die „Expertentruppe“ beim Magazin „der Spiegel“ und fordert mehr Unterstützung und Anerkennung für ihre verabscheuungswürdige Profession.
Wir sehen uns genötigt mit einem Aufruf zu allerhöchster Wachsamkeit und Einsatzbereitschaft zu enden. Der Mut der betroffenen Flüchtlinge, der Sonderbehandlung standzuhalten, wurde mit einer Lebensbedrohung durch einen der Spezialbeamten quittiert – „Ich mach Euch alle platt, hörst du?“
Wenige Tage später bezeichnet der Schirmherr dieser Beamten - die Arbeitsgruppe „Rückführung“- die Abschiebepraxis als zu lasch, Bürgermeister und Landräte als rückgratlos und Ausländerbehörde als überfordert und faul. Die Arbeitsgruppe möchte von Politik und Presse geschützt und gestützt im oben dokumentierten Stil ihre „Arbeit“ unbehindert erledigen – dazu gehören auch die Abschiebungen von Roma Familien in das Nato-Protektorat Kosovo Bericht 1 und von Kurden aus Syrien Bericht 2 – in beiden Fällen haben Proteste der Öffentlichkeit erschreckende Einblicke in das Menschenrechtsverständnis deutscher Landesbehörden gegeben.
Wir rufen auf:
1. zur Solidarität mit dem Flüchtlingswiderstand und den von Verfolgung betroffenen Flüchtlingen die Drohungen aus der Behörde sind unmissverständlich. Die Betroffenen müssen durch ein gesichertes Aufenthaltsrecht vor dem weiteren Zugriff der Behörden und den drohenden Gefahren in Dagestan geschützt werden.
2. zu öffentlichen Stellungnahmen und Protestnoten von Menschenrechtsorganisationen und anderer progressiven gesellschaftlichen Formationen bezüglich der Veröffentlichung im Spiegel.
3. alle Übergriffe, Rechtsverletzungen, etc. durch Behördenmitarbeiter und anderes staatliches Personal öffentlich zu machen und strafrechtlich zu verfolgen
Wir begrüßen Erklärungen von LandrätInnen oder BürgermeisterInnen an den Spiegel, dass sie nicht aus Angst vor Ansehens- und Wählerstimmenverlust für Auflösung von Lagern oder für Aufenthaltserteilungen ausgesprochen haben, sondern aus Respekt vor der menschlichen Existenz.
Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen
Hamburg, 24. Mai 2011
Sektion Nord Ortsgruppe Hamburg
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