Verschiedene Initiativen verurteilen den alltäglichen staatlichen Rassismus und den Einschüchterungsversuch gegen Mouctar Bah in Dessau
Vor einem halben Jahr verbrannte Oury Jallow in einer Polizeizelle von Dessau in Sachsen-Anhalt. Sein Tod und die weiteren Ereignisse seit dem 7. Januar geben eine Ahnung davon, was hinter den Mauern der Polizei und denen des Schweigens normal und alltäglich ist. Für uns und alle, die diese Normalität, ihre Gesetze und ihre Täter genau kennen und täglich erleben.
PresseArtikel: OURY JALLOH - Fünf Monate nach dem Tod eines afrikanischen Asylbewerbers in Dessauer Polizeizelle
Direkt nachdem Oury Jallow gestorben ist, spricht die Polizei von Selbstmord. Erst nach öffentlichen Protesten geht die Staatsanwaltschaft den Widersprüchen nach: Wie soll sich ein Mensch selbst verbrennen, wenn er an Händen und Füßen fixiert worden ist? Warum hat er angeblich ein Feuerzeug, wenn vor dem Arrest immer eine genaue Untersuchung stattfindet? Wie soll er sich anzünden, wenn die Matratze laut Hersteller schwer entflammbar ist und sie vorher nicht beschädigt war? Und warum sollte er es überhaupt getan haben? Warum stellen die diensthabenden Polizisten die akustische Verbindung sowie den Rauchmelder aus, obwohl sie einwandfrei funktionierten? Wie soll es möglich sein, nicht die Todesschreie eines Menschen zu hören, der mehrere Minuten lang qualvoll in den Flammen verbrennt, und den Rauch nicht zu bemerken, durch den danach weder die Polizisten noch die Feuerwehr durchkommen? Warum taucht ein Feuerzeug in der Asservatenliste vom 11.1. auf, nachdem es am 10.1. dort nicht verzeichnet wurde? Schon lange bevor die Ermittlungen abgeschlossen waren, erklärte der leitende Oberstaatsanwalt, dass es „keinerlei Anzeichen für die vorsätzliche Tat eines Dritten“ gebe. Eine Nachstellung, nach der es möglich sei, ein Feuerzeug aus der Hosentasche zu holen, reichte ihm dafür aus. Keine der offenen Fragen konnten beantwortet werden noch wurden eine weitere Obduktion oder eine Röntgengenuntersuchung durchgeführt, auch nicht nach der Aufforderung durch die Anwältin der Angehörigen. Eine genauere Obduktion musste auf eigene Kosten durchgeführt werden, durch die erst jetzt ein Bruch des Nasenbeins, zerstörte Trommelfelle und Einbrüche an den Siebbeinplatten gefunden wurden, welche zuvor abgestritten worden sind. Jetzt beklagt sich die Staatsanwaltschaft nur darüber, dass ihr diese Ergebnisse nicht zugestellt worden seien – diese sind ihr jedoch weder verheimlicht worden noch hat sie sich jemals dafür interessiert.
Jetzt, nach einem halbem Jahr des kontinuierlichen Kampfes einschließlich der starken Demonstration in Dessau am 26. März, in der die Wut und die Erfahrungen der täglichen Polizeigewalt und -brutalität zum Ausdruck kam, und des gemeinsamen entschiedenen Willens, die Hintergründe des Todes von Oury Jallow und der Verantwortlichen herauszufinden, erscheint die Anklage gegen nur noch zwei der Polizisten, wegen Körperverletzung mit Todesfolge gegen den einen und fahrlässiger Tötung gegen den anderen. Alle weiteren Möglichkeiten werden schon in der Anklage ausgeschlossen. Für viele von uns ist genauso vorstellbar, dass Oury Jallow vorher zusammengeschlagen worden - wie schon oft durch Polizisten geschehen - und anschließend angezündet worden ist, sei es um ihn umzubringen oder um es zu vertuschen. Alleine schon die Behauptung der Polizisten, sie hätten die Warnmelder aufgrund älterer Schäden ausgestellt, zeigt ihre Verachtung und ihre Überlegenheit, wenn es um „Schwarzafrikaner“ geht. „Unsere Polizei macht einen guten Job“, beeilte sich der Innenminister von Sachsen-Anhalt noch im Februar mitzuteilen. Erst jetzt, als Ausschnitte von Telefonprotokollen in der Presse erschienen sind, wird von möglichen „Rückschlüssen auf eine innere Einstellung der Beteiligten“ gesprochen, nachdem bisher selbst die Existenz dieser Protokolle abgestritten worden ist, in denen die rassistische Haltung der Polizisten und des Arztes evident auf der Hand liegen.
Die offensichtliche Kollaboration zwischen den staatlichen Institutionen dient der Leugnung jeden Zusammenhangs zwischen Rassismus und dem Tod von Oury Jallow. Es ist sehr üblich, über den Rassismus zu sprechen, der von der Seite der Nazis auf der Straße kommt, um zu verhindern, über den Rassismus innerhalb der Institutionen zu sprechen: In der Zeit von 1990 bis 2004 starben elf Ausländer während polizeilicher Maßnahmen, und 12 wurden durch rassistische Angriffe auf der Straße umgebracht, wobei letzteres mehr Beachtung in der Öffentlichkeit findet. Wieder sind wir mit der Situation konfrontiert, in der eine ernsthafte Aufklärung verhindert wird, einzig um die behördlichen Strukturen unberührt zu lassen. Vor einer Woche kündigte das Landesverwaltungsamt von Dessau einem der meist engagierten Menschen, Mouctar Bah, an, die Genehmigung für seinen Call und Afro-Shop zu entziehen und drohen ihm damit, seine Existenzgrundlage und sein Leben zu zerstören. Derselbe Versuch wurde schon vor einem Jahr vom Amt unternommen, damals jedoch vom Gericht abgelehnt. Das hindert das Amt nicht daran, mit einem nicht näher ausgeführten „öffentlichen Interesse“ begründet nun die Gewerbeuntersagung zu verfügen und am Donnerstag, dem 9.6. zwei Beamte des Ordnungsamtes zur Durchsuchung der Geschäftsräume erscheinen zu lassen. Trotz kurzer Widerspruchsfrist werden seinem Anwalt die Akten in dieser Sache nicht zugestellt. Auch in dieser „Maßnahme“, amtlich und lautlos zur passenden Zeit eingesetzt, zeigt sich die Zusammenarbeit der verschiedenen Instanzen, die Wahrheit über den Tod von Oury Jallow zum Verschwinden zu bringen und jeden Widerstand dagegen zu brechen.
Diese Pressemitteilung wurde von der Antirassistische Initiative Berlin (ARI), Plataforma der Flüchtlinge und MigrantInnen und The Voice-Refugee Forum als Teil der Initiative in Gedenken an Oury Jallow herausgegeben.
Für mehr Information setzen sie sich bitte in Verbindung mit Mouktar Bah (0176-29435634)
www.anti-rar.de / www.plataforma-berlin.de / www.thevoiceforum.org
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Dessauer Bündnis gegen Rechtsextremismus fordert umfassende Informationen über den Stand der Ermittlungen im Fall Oury Jalloh
Bündnis macht Ansprüche nachdrücklich geltend
Dessau, 10. Juni 2005
P R E S S E M I T T E I L U N G
Das Dessauer Bündnis gegen Rechtsextremismus hat die Presseberichte zu Tod von Oury Jalloh (u.a. im Spiegel Nr. 23, S. 48) der vergangenen Tage mit großer Bestürzung und tiefer Betroffenheit zur Kenntnis genommen.
1998 schlossen wir – Dessauer Bürgerinnen und Bürger aus verschiedenen politischen Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Verbänden und Initiativen – uns im Bündnis gegen Rechtsextremismus zusammen, „um der wachsenden Akzeptanz rassistischen und nationalistischen Gedankengutes, der
Fremdenfeindlichkeit und menschenfeindlicher Intoleranz entgegen zu treten“.
Wir bedauern den Tod von Oury Jalloh, der am 7. Januar 2005 im Gewahrsam im Dessauer Polizeirevier verbrannt ist und stellen fest, das der Tod von Oury Jalloh vermeidbar gewesen wäre. Darum sind wir äußerst besorgt, dass hier Personen den Tod von Oury Jalloh mit zu verantworten haben, deren berufliche Aufgabe es ist, das Leben von Menschen zu retten und zu schützen.
In den jüngsten Presseberichten wurde bekannt, dass der jetzt angeklagte Dienstgruppenleiter wie auch der zur Blutentnahme gerufene Arzt bereits im Jahr 2002 mit einem Todesfall in einer Ausnüchterungszelle in Verbindung standen. Wir fragen, wie ein Arzt, der damals eine gravierende
Fehleinschätzung zur Hafttauglichkeit eines alkoholisierten Menschen traf und dabei einen Schädelbruch übersah, der zum Tod dieses Menschen führte, erneut zu diesem Bereitschaftsdienst eingesetzt werden konnte. Ging es doch um einen Menschen, der sich offensichtlich in einem körperlichen und seelischen Ausnahmezustand befand. Hier war doch nicht nur der Grad der Alkoholisierung festzustellen, sondern es musste auch geprüft werden, ob es überhaupt verantwortbar sei, Oury Jalloh allein und gefesselt in einer Zelle zu lassen. Der Gesprächsmitschnitt des Telefonats des Arztes mit dem Dienstgruppenleiter lassen hier eine menschenverachtende und
diskriminierende Einstellung erkennen, die erschreckt.
Wir als Dessauer Bürger haben einen Anspruch darauf, dass die Hintergründe des Todes von Oury Jalloh und damit das Handeln der Verantwortlichen restlos aufgeklärt werden. Es gibt noch viele offenen Fragen, deren lückenlose Beantwortung unabdingbar ist!
Ebenso haben wir einen Anspruch darauf, umfassend über die
Ermittlungsergebnisse informiert zu werden. Es darf nicht sein, dass Personen, in deren Händen die Sicherheit aller Bürger unserer Stadt – wie auch die Sicherheit aller Gäste unserer Stadt! – liegt, sich schwere Verfehlungen zuschulden kommen lassen und diese Missstände bewusst vertuscht werden.
Diese Ansprüche machen wir nachdrücklich geltend!
das Dessauer Bündnis gegen Rechtsextremismus
Infos/Kontakt:
Dessauer Bündnis gegen Rechtsextremismus
c/o Koordinierungsbüro
Raguhner Strasse 14
06842 Dessau
Tel.: 0340/ 85 05 21 2
Rückruf bei Fragen:
Razak Minhel (Leiter des Multikulturellen Zentrums Dessau)
Tel.: (03 40) 61 73 30
Marco Steckel (Opferberatung Dessau)
Tel.: 0340/ 66 12 39 5
Mobil: 0177/ 45 777 49