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Komi Anani Adzrakous Wiederstand in Abschiebehaft

Komi Anani Adzrakou dachte, er hätte seinen großen Tag. Für heute war der togoische Asylbewerber vom Verwaltungsgericht in Schwerin vorgeladen worden. In eigener Sache. Was den meisten Menschen ein zumindest lästiger Termin wäre, war für ihn die Chance, endlich sein Aufenthaltsrecht in Deutschland durchzusetzen. So dachte er wenigstens. Vor zwei Jahren hatte er Widerspruch gegen die Ablehnung seines Asylantrages eingelegt und heute, am 16. Januar 2006, sollte darüber verhandelt werden. Anani war zuversichtlich. Die Lage in Togo war chaotisch, das müsste das Gericht doch anerkennen, glaubte er.

Am Tag zuvor, einem Sonntag, war seine Duldung abgelaufen. Also musste Anani vor der Fahrt nach Schwerin noch bei der Ausländerbehörde Güstrow vorsprechen, um sich die Duldung verlängern zu lassen. Er kennt den Sachbearbeiter, die Prozedur wiederholt sich im Monatsrhythmus. Anani hat eine so genannte „Kettenduldung“, seine Aufenthaltsgenehmigung wird immer nur für wenige Wochen verlängert. So soll es auch heute sein. Man nimmt seine Unterlagen entgegen und schickt ihn zum warten auf den Flur. Alles wie immer.

Seit 2000 lebt Anani in Deutschland, die meiste Zeit in einem Asylbewerberheim im mecklenburgischen Güstrow. In Lomé, in Togo, hat er als Taxifahrer gearbeitet, war Anhänger der oppositionellen UFC. Zu jener Zeit wurde das Land bereits 31 Jahre von Diktator Gnassingbé Eyedema und seiner Regierungspartei RPT beherrscht. Eines Tages
kritisiert er öffentlich den Premierminister – in Togo ein Sakrileg. Ein Soldat bekommt das mit, versucht in festzunehmen. Anani kann zwar fliehen, wird aber erkannt. Der Soldat wird leicht verletzt und Anani, ohnehin als Oppositionsanhänger bekannt, taucht unter. Ärger mit dem Militär, sagt er, „c´est mortale!“ – das ist tödlich. Schließlich flieht er nach Deutschland. Zurück lässt er seine Frau und zwei Kinder, eines fünf und eines neun Jahre alt. Das jüngste hat er noch nie gesehen, es ist nach seiner Flucht geboren. Ab und zu kann er mit ihnen telefonieren, manchmal schickt er etwas Geld.

Im Flur der Ausländerbehörde sind Fernsehzeitungen ausgelegt, Anani blättert darin. Sein einziges Problem ist jetzt noch das Geld für die Fahrt nach Schwerin. 12 Euro kostet die Fahrkarte in die Landeshauptstadt. Da der Großteil der Sozialleistungen für Flüchtlinge in Mecklenburg-Vorpommern in Form von Gutscheinen ausgezahlt wird, ein echtes Problem. Zum Glück erscheint ein Bekannter, ein Türke, der ebenfalls seine Aufenthaltsgenehmigung
verlängern lassen will. Anani fragt ihn, ob er ihm nicht ein, zwei Gutscheine eintauschen könne. Der Türke hat etwas Bargeld dabei und willigt ein.

Aber der Tausch kommt nicht zustande. Zwei Polizisten tauchen auf, begleitet vom Sachbearbeiter. Dieser sagt: "Es tut mir leid" und verschwindet, die Polizisten nehmen ihn mit. Anani protestiert, holt die Vorladung zum Gericht aus der Tasche. Es nützt nichts. Auf der Wache in Güstrow nehmen sie ihm sein Handy ab, er verlangt nach einem Gespräch mit seinem Anwalt. Nach einiger Zeit führt in ein Polizist zu einem Telefon. Sein Anwalt ist dran. Er solle sich keine Sorgen machen, sie hätten keine Handhabe ihn festzuhalten, er würde gleich gehen gelassen, sagt er. Anani ist skeptisch.

Zwei Stunden später findet sich Anani im Amtsgericht Güstrow wieder. Sein Anwalt ist nicht da, wohl aber der Sachbearbeiter der Ausländerbehörde und eine Dometscherin. Der Sachbearbeiter erklärt Ananis Duldung sei ausgelaufen, und er sei nicht bereit, sie zu
verlängern. Der Gerichtstermin in Schwerin habe keine aufschiebende Wirkung. Anani protestiert. Der Richter kündigt ihm an, ihn für drei Monate in Abschiebehaft zu nehmen und persönlich die togoische Botschaft in Berlin zu informieren. Dann geht er. Die Polizisten fesseln ihn und bringen ihn in die JVA Bützow. Er denkt an die drei Monate und verlangt, auf dem Weg einige seiner Sachen aus dem Heim holen zu dürfen. Die Polizisten lehnen ab.Er kommt in eine Zelle neben dem Büro des Wachhabenden. Anani schätzt die Größe auf 3 qm. Eine Toilette, keine Waschgelegenheit aber ein Doppelbett. Kurze danach erscheint ein Wärter mit Essen. Graubrot mit Margarine, kein Tee, kein Wasser. Er lehnt das Essen ab, der Wärter nimmt es anstandslos wieder mit. Am nächsten Tag fragen sie nach, ob er immer noch nichts wolle. Er verlangt nach einem Telefonat mit seinem Anwalt und seinem Zimmergenossen. Die Wärter lehnen ab. Am Abend des 17. wird er ins Zimmer des Wachhabenden gebracht. Wieder fragen sie ihn, ob er essen will. Anani verneint. Ein anderer togoischer Abschiebehäftling wird hinzugeholt, er soll dometschen. Sein Name ist Alasanne Moussbaou, Anani kennt ihn. Er lässt ihn erklären, dass er lieber hier verhungern als zurück nach Togo will.

Daraufhin ist das Gespräch beendet und er kommt in eine neue Zelle. Äußerlich gleicht sie der ersten, aber in dieser ist die Heizung kaputt. Bei Außentemperaturen unter dem Gefrierpunkt wird es empfindlich kalt. Moussbaou taucht an der Zellentür auf. Ihm sei verboten worde, mit ihm zu sprechen, sagt er. Offenbar hat die Gefängnisleitung Angst, er könnte sich dem Hungerstreik anschließen. Wie sich am nächsten Tag herausstellt, ist die Sorge berechtigt. Sie wechseln dennnoch kurz einige Worte. Die Verlegung in die kalte Zelle geschehe, um ihn zum essen zu zwingen, mutmaßt Moussbaou. Anani gibt ihm die Telefonnummer seines Zimmergenossen im Asylbewerberheim. Im Gegensatz zu Anani darf
Moussbaou telefonieren, er informiert Ananis Mitbewohner über dessen Verhaftung.

In den ersten vier Tagen nehmen die Wärter das Essen wieder mit, ab dem 5. Tag lassen sie es in der Zelle stehen. Meist gibt es Graubrot mit Margarine. Anani rührt es nicht an und am nächsten Tag wird es durch Neues ersetzt. Am 24. Januar ist ein Haftprüfungstermin beim Verwaltungsgericht Schwerin angesetzt. Sein Anwalt ist auch da, sagt aber nichts weiter. Der Richter bestätigt die Inhaftierung und man bringt ihn zurück in die JVA Bützow. Dort wird er dem Anstaltsarzt vorgeführt. Der nimmt ihm Blut ab und stellt ihn auf die Waage. Anani wiegt normalerweise 90 Kilo, heute sind es nur noch 77. Er ist ständig müde, kann kaum laufen, hat Kopfschmerzen. Der Arzt rät ihm, wenigstens genug zu trinken und lässt ihn in die Krankenstation des Gefängnisses
verlegen.

Dort liegt bereits Moussbaou. Er hat sich am Tag ihres letzten Gespräches entschlossen, sich dem Hungerstreik anzuschließen.Die meiste Zeit liegen sie stumm nebeneinander, abwechselnd schieben sie das abgestellte Essen wieder heraus, um nicht in Versuchung zu geraten. Immerhin ist es wärmer als in der letzten Zelle. Fünf Tage später gibt
es eine erneute Untersuchung. Diesmal sagt ihm der Arzt, er mache sich Sorgen um seinen Gesundheitszustand, fragt, ob er wirklich weitermachen wolle. Anani bejaht. Er will wissen, wie der Arzt heißt, fragt ihn nach seinem Namen, bekommt aber keine Antwort.

Am 31. Januar, um vier Uhr morgens, werden sie von fünf Polizisten geweckt. Das sie Moussbaou abholen wollen ist Anani sofort klar, ob er selber auch mit muss hingegen nicht. Er soll aufstehen, fordert einer der Polizisten. Als er sich weigert, stößt der Polizist sein Rollbett so hart zur Seite, das es umfällt. Zwei Polizisten packen
ihn und sperren ihn ins Nebenzimmer. Durch die Tür hört er, wie Moussbaou offenbar aus dem Bett gezogen und gefesselt wird. Moussbaou schreit, Bewegungen, zumal schnelle, bereiten ihm schon seit Tagen Schmerzen. Dann ist es still. Nach einiger Zeit wird er aus dem Raum geholt und kann zurück in sein Bett. Er hat Angst, fordert, seinen
Anwalt anrufen zu dürfen. Er darf nicht. Später erfährt er, das Moussbaou nach Berlin gebracht und - bewacht von mehreren Bundespolizisten - mit einer Air France-Maschine über Paris nach Lomé abgeschoben wurde. Er wurde noch am Flughafen von togoischen Grenzpolizisten verhaftet.

Anani bleibt noch drei Tage allein in der Krankenstation. Er bekommt Besuch von Mitarbeitern von Flüchtlingsinitiativen und Landtagsabgeordneten der Linkspartei. Diese versprechen ihm, sich bei der Landesregierung für ihn einzusetzen. Das Parteiprogramm der Linkspartei sieht vor, Abschiebehaft abzuschaffen. In Mecklenburg-Vorpommern regiert seit acht Jahren eine rot-rote Koalition. Anani ist dennoch dankbar für die Unterstützung. Ohne die Besuche und das Wissen, das die Flüchtlingsorganisationen sich für ihn einsetzten, sagt er, hätte er nicht durchgehalten.

Zwei Tage später ist sein Gesundheitszustand derart kritisch, dass er in die Bützower Warnow-Klinik verlegt wird. Anani, der seit 18 Tagen keine Nahrung mehr zu sich genommen hat, wird rund um die Uhr an Händen und Füßen ans Bett gekettet. Immer steht ein Polizist vor der Tür. Wenn er zur Toilette will, muss Anani ihn rufen, um sich die
Fußfesseln abnehmen zu lassen. Die Handfesseln bleiben dran. Am 6. Februar wird der Polizist abgezogen, die Fesseln nimmt er mit. Das Innenministerium in Schwerin hat einen Abschiebestop für Togo angeordnet. Anani ist kein Häftling mehr, sondern normaler Patient der Klinik. Nach 22 Tagen stellt er seinen Hungerstreik ein.

Menschenrechtsgruppen vermuten, das der Abschiebestop erlassen wurde, weil Ananis Mithäftling Moussbaou in Togo sofort inhaftiert wurde. Nun soll das Auswärtige Amt einen neuen Bericht über die Lage in Togo verfassen. Dann will das mecklenburgische Innenministerium neu entscheiden. Außer Anani sollen noch 140 weitere Togoer aus dem
Bundesland abgeschoben werden. Am 8. Februar wird Anani in sein Asylbewerberheim nach Güstrow entlassen wird. Einige Tage später kann er noch immer kaum feste Nahrung aufnehmen, ernährt sich von etwas Suppe, hat aber noch starke Schmerzen. Immerhin klappt es mit Spaziergängen.Wie es weitergeht, ist unklar. Was will er tun, wenn der Bericht des Auswärtigen Amtes so ausfällt, das er wieder abgeschoben werden soll?
„Encore une fois“ - wenn es sein muss, alles noch mal.

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