In der Nacht zum Montag, den 14. Mai, wurden mehrere Gebäude und Mahnmale in Dessau mit Hakenkreuzen und SS-Runen besprüht, unter anderem das Telecafé – Treffpunkt der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh in Dessau – in der Friedrich-Naumann-Straße und eine Gedenkstelle, die an die Deportation der Dessauer Juden und die Zerstörung der Synagoge erinnert. Das Telecafé war bis Februar 2006 im Besitz von Herrn Mouctar Bah, Freund des in einer Dessauer Polizeizelle lebendig verbrannten Afrikaners und bundesweiter Sprecher der internationalen Kampagne “Initiative in Gedenken an Oury Jalloh”.
Der Mensch, der sich am meisten für die Forderungen nach Aufklärung, Gerechtigkeit und Entschädigung im Mordfall Oury Jallohs einsetzt, ist schon mehrmals Opfer staatlicher und rechtsradikaler Angriffe geworden:
Mouctar Bah war Ankläger gegen Jens Bauer, Landessprecher der NPD in Sachsen-Anhalt, der einen Hassbrief über Oury Jalloh, Mouctar Bah und Flüchtlinge im Allgemeinen geschrieben hat. Am 18. Mai 2006 hat das Gericht in Oschersleben Bauer in seiner Abwesenheit und ohne Aufforderung, sich vor Gericht zu stellen, zu 600 € Strafe oder 60 Tagessätze à 15 Euro verurteilt. Draußen, nach dem Urteil und während die später beschlagnahmten Transparenten schon fast eine Stunde dort hingen, provozierte die anwesende Polizei mit einer Gewaltaktion und Beschlagnahme der Transparente. Mehrere Aktivisten wurde dabei angezeigt, u.a. wegen Beleidigung und Widerstand.
Im zweiten Teil des Dessauer Prozesses im Fall Oury Jallohs wurde ein Bekannter NPD-Kader, Swen Behrendt, von Afrikanern aufgefordert, den Gerichtssaal zu verlassen, was dann auch tatsächlich gelungen ist. Behrendt hatte schon zuvor über den Prozess berichtet: “Der erste Tag war begleitet von den passend in Szene gesetzten Auftritten der Mutter Jallos. Zum Zeitpunkt als sich Anklage und Verteidigung um den Richtertisch versammelten, um Fotos der Örtlichkeiten zu besprechen, war für sie der Zeitpunkt gekommen, alle Anwesenden mit einem ‘Singsang’ zu erfreuen.” Als der Richter dann mitbekommen hat, dass der Nazi den Saal verlassen musste, stellte er klar, dass er damit nicht einverstanden ist, denn er habe nicht gegen die Gerichtsordnung verstoßen. So durfte er am nächsten Prozesstag wieder kommen und im Saal sitzen.
Am 29. März, nach dem 4. Verhandlungstag, ging Mouctar Bah wieder in den Laden, wo er nun als Angestellter arbeitet. An diesem Abend kam ein Mouctar bekanntes Gesicht in den Laden rein, einer, der ihn schon früher wegen die Kampagne für Oury Jalloh beschimpft, beleidigt und angegriffen hatte. Es gab gegenseitige Anzeige, doch die Staatsanwaltschaft ließ Mouctars Anzeige fallen, und hat die stattgegeben, die gegen ihn gestellt wurde. Als bei der Verhandlung der Mann sagte, dass er ins Mouctar Bahs Laden reingegangen sei, weil es dort stinke, stellte sich heraus, dass seine Wohnung viel zu weit weg ist, um überhaupt darüber urteilen zu können, so dass der Prozess vom Richter eingestellt worden ist. Nun aber ist der selbe Mann wieder reingekommen und hat Mouctar in Anwesenheit seiner Familie von hinten geschubst. Mouctar hat sich selbst verteidigt.
Mouctar wurde am 7. Februar 2006 von seinem Laden enteignet, seine Gewerbelizenz wurde ihm entzogen. Bereits 2004 wollte das Ordnungsamt Dessau den Laden schließen mit der Begründung, dort würden illegalerweise Lebensmittel verkauft. Dieser Vorwurf stellte sich jedoch als haltlos heraus, da Mouctar Bah eine entsprechende Lizenz besitzt. Auch eine Ladendurchsuchung konnte keinen Vorwurf gegen ihn belegen. Ein Jahr lang hatte das Landesverwaltungsamt Halle den Fall auf dem Tisch. Nichts wurde unternommen, denn laut eines Mitarbeiters des Amtes gäbe es keinen Grund, ihm die Gewerbelizenz zu entziehen. Aber dann starb Oury Jalloh und Mouctar hat sich dafür engagiert. Und wurde dafür bestraft.
Seitdem sind mehrere polizeiliche Vorladungen, Anschuldigungen, Einschüchterungen und Anzeigen gegen diverse Aktivisten und Aktivistinnen der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh gelaufen. Es dauerte 28 Monate, bis es überhaupt zu einer Verhandlung gekommen ist, und dies nur dank des kontinuierlichen öffentlichen Drucks seit dem 7.1.2005. Nun wird ausschließlich in Richtung Selbstmord ermittelt, alle andere Möglichkeiten, zusammen mit dem rassistischen Hintergrund, sind vom Prozess ausgeschlossen (heißt das: man muss “doch nicht alles sehen?”). Während der letzten Prozesstage wurde einem Zuhörer direkt im Gericht mit Ausschluss und Anzeige wegen Beleidigung gedroht. Daraufhin ergriffen er und ein weiterer Zuhörer die Gelegenheit und teilten dem Gericht mit, was sie an ständigen schweren körperlichen Angriffen und Beleidigungen von Polizisten und Nazis erlebt haben, die für diese ohne irgendeine Konsequenz bleiben. Darauf gab es vom Richter keine Reaktion.
Menschenfeindliche und vor allem fremdenfeindliche Einstellungen sind fest in der Mitte der Gesellschaft verankert. Dabei ist die Polizei keine Ausnahme, sondern eher ein Beispiel für die aktive und bewusste Ausübung einer Regel (z.B. der Fall Dominique Koumadio, der in Dortmund von der Polizei aus einigen Metern erschossen wurde; die Ermittlungen sind schon bald von der Generalstaatsanwaltschaft Hamm eingestellt worden). Anders gesagt: Was hinter der Vertuschung, Verschleppung und Verfolgung von Aktivisten in Dessau so tief drin steckt, ist nichts anderes als das, wozu dieses menschenverachtende System fähig und durchaus bekannt ist.
Dies alles geschieht in einem Kontext, in dem die Dessauer Polizei sich nicht nur für den Tod Oury Jallohs zu verantworten hat, sondern in dem sie bei rechtsradikalen Strafdelikten “nicht alles sehen müssen”. Währenddessen werden Aktivisten der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh zunehmend verfolgt, weil sie ihr Recht auf Meinungsäußerung wahrnehmen und verteidigen.
Bis wann wird der ständig wiederkehrende Zufall kein Zufall mehr sein? Vielleicht weiß der leitenden Polizeidirektor Hans-Christoph Glombitza in Dessau sehr genau, warum er sagte, dass die Regierungsprogramme gegen Rechtsradikalen “doch nur für die Galerie” seien.
Wir fordern alle Menschen auf, sich aktiv mit dem Fall Oury Jallohs und anderen wie dem von Dominique Koumadio in Dortmund zu beschäftigen und nicht passive Zuschauer einer stärker werdenden gefährlichen gesellschaftlichen Entwicklung zu bleiben. Dazu rufen wir alle auf, sich für den Prozess und die bundesweite Demonstration am 23. Juni in Dessau zu mobilisieren und daran teilzunehmen.
Unser Wort bleibt:
OURY JALLOH – DAS WAR MORD!
Strukturellen Mord bekämpfen!
Aufklärung! Gerechtigkeit! Entschädigung!